Gedankenanstoss

Neulich im Bus…

Liebe Leserin, lieber Leser,

Ende vergangener Woche saß ich im Bus zum Darmstädter Hauptbahnhof, um mich mit einer Griesheimer Gruppe auf den Weg nach Frankfurt zu einem Ausflug zu machen. In der Reihe neben mir saßen zwei junge Frauen, beide mit einigem Gepäck unterwegs.
Ihre Unterhaltung wurde in einer Lautstärke geführt, die ich nicht teilnahmslos überhören konnte. So wurde ich Zeuge eines Dialogs, der sinngemäß so verlief:
„Ich bete jetzt zum heiligen Champilius, dass wir den Zug noch bekommen.“ – „Heiliger Champilius, wer soll das denn sein?“– „Das ist ein Schutzpatron, ein imaginäres Geistwesen. Mit dem kann ich mich außerdem unabhängig von meinen Eltern machen. Von denen will ich nämlich nicht mehr abhängig sein. Ich bete jetzt, dass wir den Zug noch bekommen!“

Die andere Gesprächspartnerin sagte dazu nichts mehr. Und dann stiegen wir auch schon, am Hauptbahnhof pünktlich angekommen, aus dem Bus. Ich nehme an, dass die beiden jungen Frauen auch ihren Zug bekommen haben.
Mit einer leichten Irritation ging mir das kleine Erlebnis nach. Und dabei wog ich auch ab, ob die beiden sich einfach nur einen Scherz erlaubt hatten, um angesichts der ziemlich laut geführten Unterhaltung andere Fahrgäste einfach ein wenig zu auf den Arm zu nehmen.
Und doch: Die Gebetsabsicht und die damit verbundene Hoffnung, dass die Bitte erfüllt werde, wurden so deutlich und mit einigem Ernst vorgetragen. Ich konnte nicht anders als die Ernsthaftigkeit zu unterstellen. Und so suchte ich später in Listen von Heiligen und Schutzpatronen nach, ob ich den eigentümlichen und mir nicht bekannten Namen „Champilius“ dort finden würde. Erwartungsgemäß war dies nicht der Fall. Und damit könnte ich es bewenden lassen.
Und doch staunte ich und bin noch befremdet darüber, welch ein magisches Verständnis mit den Worten und der gezeigten Haltung der jungen Frau zum Ausdruck kam.
Ist das gar eine weiter verbreitete Haltung unter jungen Leuten, die doch mehr als andere Generationen zuvor zur Kritikfähigkeit und zu einer kritischen Haltung befähigt und erzogen werden sollen?
Ein „imaginäres Geistwesen“ also als „Schutzpatron“? Als Wegbereiter einer „Unabhängigkeit“, in diesem Fall von den Eltern, die als Symbol einer abzulehnenden oder zu überwindenden Abhängigkeit standen? Ich gebe zu, dass ein solches magisches Verständnis allzu lange auch von kirchlicher Verkündigung gefördert wurde. Ob es nun die lange Liste von „Schutzpatroninnen und -patronen“ ist,
ob es um die mit einem magischen (gleichsam einen „Zauber“ erwartenden) Verständnis ausgesprochenen Bitten um die kleinen oder großen Dinge des Lebens geht: Kann dies die Haltung erwachsener Menschen sein, die zur selbstständigen Gestaltung ihres Lebens in „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ befähigt worden sind, wie es zum Beispiel in der Präambel unseres Grundgesetzes heißt?

Es ist immer gut, eine Bitte auch auszusprechen. Das hilft, sich darüber klar zu werden, was man wirklich will. Es ist immer gut, eine kompetente Adressatin oder einen Adressaten für das Aussprechen einer Bitte zu haben.
Das ist schließlich ein Ausdruck des Vertrauens dieser Person gegenüber – auch wenn sie nicht immer die Adresse der „Wunscherfüllung“ sein kann und wird. Wunder im Sinne eines freundlich zugewandten Zaubers lassen sich aber nicht einfordern und provozieren.
Vom Gegenteil, einer destruktiven Gesinnung und einer entsprechenden magischen Erwartungshaltung will ich gar nicht reden.
„Wunderbar“ im Wortsinn aber ist es, wenn sich gegen alle Erwartung Dinge ereignen, negative Entwicklungen zum Besseren wenden, Krankes heilt. Die Bibel, das Buch des Lebens, ermutigt uns, dafür zu beten, vor allem für andere. „Wunder“, wunderbare, nicht erwartete, kaum für möglich gehaltene Entwicklungen lassen sich aber erst im Nachhinein deuten, nicht im Vorhinein provozieren oder gar wie mit einem technischen Mechanismus auslösen..
Gönnen wir also den beiden oben zitierten jungen Frauen gerne das so sehnlich gewünschte Erreichen ihres Zuges. Ich gehe davon aus, dass das geklappt hat. Und seien wir sensibel – und dankbar – für alles unerwartet Gute.
Es mag dringlich herbeigewünscht, im Gebet erfleht worden sein. Für einen magischen Zauber aber gibt es keinen Adressaten, keine Schutzpatrone, keinen Gott.

Peter Querbach
Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Griesheim