Gedankenanstoss

Verrat und Verräter

Liebe Leserin, lieber Leser,

„ich liebe den Verrat, aber den Verräter lobe ich nicht“. Dieses Zitat, das Julius Cäsar zugeschrieben wird, fällt in diesen Tagen des Öfteren, wenn es um die Aufdeckung des Datenskandals durch den Amerikaner Edward Snowden geht. Der Volksmund machte es noch ein bisschen einfacher: „Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.“ Aber so ganz entschieden ist man noch nicht, welches Gefühl dem Mann entgegen gebracht werden soll, der eine weltweite Debatte über die Arbeit der Geheimdienste und ihre Verknüpfung ausgelöst hat. Fest steht jedenfalls, dass viele ihn insofern nicht lieben, dass sie nicht bereit sind, ihm Asyl zu gewähren – sei es, weil ihnen die Person nicht geheuer ist, sei es, weil man politische Komplikationen fürchtet.

Und wer hätte gedacht, dass bei der Nachverfolgung der Informationskanäle eine Spur nach Griesheim führt, wo man eine geheime Sammel- und Auswertungsstelle von Kommunikationsdaten vermutet? Ein Mitarbeiter, der dort tätig war, hat laut einem deutschen Nachrichtenmagazin erzählt, dass er dort ausländische Kommunikation abgefangen, übersetzt und verarbeitet habe. Er wird gut daran tun, seine Identität nicht einer großen Öffentlichkeit preis zu geben. Immer schon herrscht eine eigentümliche Spannung zwischen dem Inhalt des Verrats und dem Überbringer der Botschaft. Schließlich wird hier die Frage des Vertrauens bzw. des Vertrauensbruchs oft aufs Äußerste zugespitzt.

Kennen Sie dieses Kribbeln nicht auch? Sie haben Kenntnis von einem Sachverhalt – und wenn dieser Sachverhalt an ganz bestimmte Personen oder Institutionen weitergegeben wird, löst das etwas aus. Die Weitergabe der Information ist dem einen nützlich und für den anderen schädlich. Sie wägen ab, schätzen die Wirkung der Preisgabe ein, kalkulieren möglicherweise Ihren eigenen Gewinn – und ahnen wohl, dass das, wozu Sie versucht sind zu tun, irgendwie nicht in Ordnung ist?

Der bekannteste Verräter der Bibel ist ohne Zweifel Judas Ischariot. Von ihm sagt die Überlieferung, dass er durch seinen Verrat dafür gesorgt habe, dass Jesus von Nazareth zunächst festgenommen und später an die römische Besatzungsmacht ausgeliefert werden konnte. Dies ist wesentlicher und fester Bestandteil der so genannten Passionsgeschichte – ebenso wie die Beschreibung von der Selbsttötung des Judas durch Erhängen. So wundert es nicht, dass die Person des Judas über die Jahrhunderte hinweg eine äußerst negative Deutung erfahren hat – und noch heute wird die Bezahlung für einen Verrat im Volksmund als „Judaslohn“ bezeichnet. Und ein verheerender, judenfeindlicher Zug in der Geschichte des Christentums ist nicht zuletzt auf diese Überlieferung zurück zu führen.

Wenn ich das Neue Testament richtig verstehe, verhält es sich bei Gott mit dem obigen Zitat genau umgekehrt: Er liebt den Verräter, aber nicht den Verrat. Der aus niederen Motiven begangene Verrat, der Vertrauensbruch oder –missbrauch ist schließlich die Handlung, die neue Fakten schaffende Tat, die zu verurteilen ist, weil sie Menschen spaltet und nicht zusammenbringt, weil sie Schaden bringt und nicht Besserung. Dagegen räumt Gott aus Liebe zu jedem Menschen auch jedem die Chance ein, sich aus allen Verstrickungen zu lösen, Schuld einzusehen, Verantwortung zu tragen – und unbelastet neu anzufangen. Solche Spuren führen übrigens auch nach Griesheim – überall dort, wo man es Gott gleichtut: durch Verzeihen und Ermöglichung eines neuen Anfangs.

Den wünsche ich Ihnen immer wieder neu in diesem Sommer – übrigens auch Edward Snowden und den vermuteten Horchposten am Griesheimer Rand.

Peter Querbach
Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Griesheim