„Vom Glück geküsst“
Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Menschen jedweder Identität,
am letzten Wochenende traf ich bei einem Fest einen ehemaligen Kollegen, noch im Dienst und folglich erheblich jünger als ich. Beim üblichen Austausch über das eigene Ergehen, im Beruf und in der Familie gab es seitens des Kollegen jedes Mal einen strahlenden Augenaufschlag mit der Bemerkung, das alles super sei. Zusammenfassend sagte er noch strahlender: „Vom Glück geküsst“.
Nun hatte ich während der Dienstzeit durchaus Gelegenheit, einige Male hinter die glänzende Fassade zu schauen. Da ging es auch mal um Nichtgelingen, das Bedauern darüber, das Versprechen, es beim nächsten Mal besser machen zu wollen. Ich habe aber auch erlebt, dass sich der junge Kollege nicht unterkriegen ließ und er eben einer der Kategorie „hinfallen und gleich wieder aufstehen“ war und ist. Nun also sein Statement: „Vom Glück geküsst“. Stark – es hat mich beeindruckt.
Nun werden uns auch in den Schriften des Alten und Neuen Testaments etliche handelnde Personen vorgestellt, bei denen dieses „vom Glück geküsst“ eine Rolle gespielt hat. In biblischer Ausdrucksweise würden wir von Segen sprechen, weil damit immer der Gedanke verbunden ist, dass sich das Wohlergehen dem großen Weltenschöpfer, Erhalter und Erneuerer verdankt. Dennoch gibt es im Leben dieser Personen immer auch Tiefs – Phasen des Un-Glücks, der Trauer, des Verlustes. Ganz normal, würden wir sagen. Dennoch finden wir solche, denen offensichtlich Vieles gelang, dass Wohlergehen – Glück – Segen – im Vordergrund stand.

Eine dieser Personen ist Josef. Einer der 12 Söhne des Jakob in den Urväter-Erzählungen des Buches Genesis. Er wird als ein besonders Geliebter des Vaters und dessen geliebter Ehefrau Rahel beschrieben. „Vom Glück geküsst“ auch wegen seines schönen Aussehens. Dessen war er sich bewusst und wusste das einzusetzen. Hinzu kam ein scheinbar umwerfender Charme. Auch dessen war er sich bewusst und wusste ihn einzusetzen. „Schöne Geschichten“ wusste er zu erzählen. Das galt im alten Orient viel. Mit diesen schönen Geschichten und der Art zu erzählen wusste er seine Eltern, einen ägyptischen Finanzminister, dessen Frau und sogar den Pharao zu beeindrucken, in außergewöhnlicher Weise für sich einzunehmen.
Nur seinen älteren Brüdern gefiel das nicht. Blass vor Neid und schäumend vor Wurt konnten sie werden bei diesen „schönen Geschichten“. Und diesem Finanzminister konnte nicht gefallen, wie seine Ehefrau nach Josef geradezu schmachtete. Dieses vom Glück geküsst sein missfiel und brachte Josef auch mehrfach existenzielles Un-Glück, in Todesgefahr. Doch es scheint, dass er aus jedem Un-Glück um so strahlender wieder hervorging, aufstieg – bis zum Premierminister des großen antiken Ägypten. Und zum besten Freund des Pharao, des großen ägyptischen Herrschers wurde.
Das Leben des Josef wird als eine Geschichte des Segens erzählt, mit der dieser zwar gelegentlich auf geradezu halsbrecherische Weise leichtsinnig umgeht. Doch es bleibt der Eindruck des schönen, charmanten und zunehmend klug und erfolgreich wirtschaftenden Mannes mit dem Herz auf dem rechten Fleck und der Freundschaft zum Pharao. Noch schöner als im Buch Genesis wird diese Geschichte übrigens im großen Josefsroman von Thomas Mann erzählt.
Und was ist mit mir? Das mag sich der eine oder die andere fragen, die sich weniger „vom Glück geküsst“ fühlen. Ganz zu schweigen von den vielen, deren Not und Elend wir täglich durch die Medien vermittelt bekommen. Das ist ja auch eine menschliche Grunderfahrung: benachteiligt, nicht geschätzt, vergessen zu sein – oder sich so zu fühlen. Dafür kann ich kein Rezept bereit halten – wohl aber auf die Verantwortung derjenigen hinweisen, denen es gut geht. „Wer viel hat, von dem wird man viel fordern“, so heißt es sinngemäß im Lukasevangelium. Der alttestamentliche Josef hat gelernt, was das bedeutet. Und er hat danach gehandelt. Hier fehlt der Raum, das weiter auszuführen. Es gilt aber auch uns, soweit wir unser Leben begünstigt, gesegnet führen können. Und ich wünsche es dem jungen Kollegen, der sich „vom Glück geküsst“ fühlt, dass er von diesem Glück etwas weiter- oder abgeben kann zugunsten von Menschen, die es nötig haben.
Peter Querbach
Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Griesheim